Wolfsberg - ENDE 80

PR-text & ausstellungskonzept

"Was die [...] Photographien sichtbar machen, sind Bereiche der Stadt, die wir unserem Bewußtsein weitgehend vorenthalten haben:
Plätze, Straßen und Häuser, der städtebauliche Alltag, der durchschnittliche Lebensraum. Wir haben verdrängt, daß dies unsere Stadt ist, auf einmal erkennen wir sie."
(Klaus-Jürgen Sembach über "Stadtansicht: Würzburg", Photographien von Reinhold L. Hilgering, Würzburg 1982.)

Begleittext zur Ausstellung von 1990

Anfangs war das Tal Idylle und Grenze meiner Welt. Durch meinen studienbedingten Aufenthalt in Wien wuchs auch die innere Distanz zu meinem bisherigen Dasein. Immer stärker wurden die Zweifel an gewissen lokalen Um- und Zuständen sooft ich wieder hierher kam. Stärker wurde aber auch die Wahrnehmung für die interessanten und vorteilhaften Seiten dieses Ortes. Damit wuchs das Bedürfnis, diese Eindrücke mitzuteilen, die mir erst aus einer anderen Perspektive bewußt geworden sind. Hierzu fand ich zu diesem Zeitpunkt in der Photographie das geeignete Medium.

Der Ort steht jedoch nicht allein für sich selbst, sondern zugleich stellvertretend für viele andere, welche sich in einer ähnlichen geographischen, sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen etc. Situation befinden. Das Schlagwort der 'provinziellen Kleinstadt' ist durchaus nicht nur negativ zu verstehen: So wie sie all ihre Fehler und Schwächen hat, besitzt sie auch ihre Vorzüge. Diese gilt es zu erkennen und entsprechend zu pflegen.

Es genügt nicht, auswärtigen Gästen das Paradies vorzuführen und die Fassaden auf Hochglanz zu bringen, während zugleich jegliches Feingefühl für wirkliche lokale Qualitäten fehlt. Der Fortschritt hält Einzug, doch das Rückständige sitzt noch fest. Entstehende Unstimmigkeiten werden übertüncht. Die Bewohner ziehen sich in ihre kleine Welt zurück oder flüchten sich sich - von Zeit zu Zeit oder für immer - in die Ferne. Höhere Ansprüche zu stellen oder an der Fassade zu kratzen wird für viele zum Verhängnis.

Die vorliegende Auswahl aus der Photodokumentation soll einige dieser Wahrnehmungen illustrieren und deutlich machen. Es sollen Momente aufgezeigt und ins Bewußtsein gerückt werden, von welchen gewöhnlich kaum Notiz genommen wird.

Ausstellungskonzept

Das langfristige Konzept zur Präsentation der Arbeit ist eine erweiterte photo-dokumentarische Installation über die Stadt und ihre Umgebung, bestehend aus einer Auswahl von etwa 100 - 200 S/W-Photographien, ergänzt durch Farbphotographien, Texte, Postkarten, Skizzen, Dokumente und Objekte.

Als Grundstruktur werden die Photographien einzeln oder in Gruppen von zwei bis neun thematisch verwandten Bildern zusammengestellt. Jede Themengruppe kann in o.g. Form ergänzt werden. Die S/W-Photographien bilden das Gerüst, um welches die übrigen Materialien quasi kommentierend frei angeordnet werden.

mögliche Themengruppen

• historische Aufnahme 30er Jahre (Reproduktion)
• Altstadt/Vogelperspektiven
• Wohnbau/Siedlungen
• Einfamilienhäuser
• Industrieansiedelungen
• Konsumzonen
• Landwirtschaft
• Verkehrsadern
• Ruinen & Relikte
• Natur & Brachland

Ergänzung: Gegenüberstellung Wolfsberg - Santa Cruz/CA, USA

Ein Ausgangspunkt für die Dokumentation war u.a. die auffällige & zunehmende Verbreitung von 'moderner' Architektur, beispielsweise in Form größerer Einkaufszentren im 'amerikanischen Stil' (Shopping Mall). So entstand ein Kontrast zwischen gewachsenen lokal kleinräumig-ländlichen Strukturen & Bauweisen mit immer stärker funktionalistisch geprägten Zweckbauten.

Später entstand während eines längeren Aufenthaltes in Kalifornien eine weitere Dokumentation eines vergleichbaren Ortes mit ähnlichen Voraussetzungen in derselben Herangehensweise. Die Idee ist nun, die Bilder beider Orte einander gegenüberzustellen. Dies kann entweder an die obige Konzeption als Block angehängt oder als eigenständige Präsentation gestaltet werden. Auf den ersten Blick entsteht der Eindruck, daß alle Bilder aus derselben Gegend stammen. Die tatsächliche geographische Entfernung der beiden Orte wird erst bei näherem Hinsehen erkennbar.

persönliche anmerkungen 2001

die dargestellten motive sind allesamt keine sehenswürdigkeiten (im engerne sinne). im gegenteil: allzu bekannte oder die üblichen herzeige-motive habe ich bewußt ausgeklammert, um das auge auf andere dinge zu lenken. nichtsdestotrotz bzw. gerade weil ebendiese nicht minder würdig sind, gesehen bzw. gezeigt zu werden. werden doch gerade die naheliegendsten dinge am liebsten übersehen ...

über mehrere jahre hinweg habe ich meinen heimatort photographiert, ohne auf den bildern einen einzigen menschen zu zeigen. ich denke, daß sich der charakter der menschen sehr deutlich darin zeigt, wie sie den ort, an dem sie leben, gestalten. interessant ist in dem zusammenhang die ablehnung, auf die solche bilder immer wieder stoßen.

zwar scheint nach wie vor in vieler hinsicht die zeit stehen geblieben, nicht jedoch manche ihrer (-geist-)erscheinungen.

nicht alte und nicht neue ansichten - nicht mehr neu, aber auch noch nicht so alt. umso erstaunlicher, was sich in der kurzen zeit so getan hat. 12, 13 jahre ist es her und damals schon (oder doch nicht ?) ganz absehbar die rasante entwicklung.

gelegentlich außer kontrolle geraten unerfreulichere erscheinungen auf kosten unwiederbringlicher verlußte. vielleicht aus manchen fehlern gelernt, einiges überdacht und unter kontrolle gebracht, wird eifrig weiter gebaut, niedergerissen, besiedelt, erweitert, etc. wie es weitergeht wird sich erst weisen. wie die stadt in den nächsten jahrzehnten aussehen wird werden wir sehen.

das stadtbild ändert sich schneller als je zuvor. vom land drumherum ist stellenweise nichts mehr übrig. zumindest einige bilder mit 'alten' ansichten von heute (oder vom ende der 80er jahre) werden morgen noch übrig sein. vielleicht wird dann wieder ein bildband publiziert, in den die nächste generation - lachend oder weinend - zurückblicken kann. rückgängig machen kann sie nichts mehr.

erinnerungen & errungenschaften: es sind bilder vom entstehen und verschwinden, vom zerstören und erneuern, von fehlern und von fehlendem. eins weicht dem anderen. verdrängungsmechanismen wirken in vieler hinsicht. schlußendlich wird verdrängt, was (vermeintlich) nicht vermieden werden kann oder konnte.

vergangenheit & zukunft nebeneinander, kontraste & widersprüche, zwischen stadt & land(-schaft), mensch, natur & architektur. himmel & hölle zugleich die kleine welt im paradies samt dazugehöriger vertreibung. immer mehr menschen gelangen in immer weitere ferne - sei es privat auf urlaubsreisen, durch berufsbedingtes pendeln oder aus anderen gründen. freiwillige oder zwangsläufige flucht?

sehen & übersehen - sicherheitshalber ins blickfeld rücken, um bewußt-sein zu erwecken im verschlafenen nest der träumer und utopischen realisten. den blickwinkel verändern, bevor der graue star das bild endgültig verschleiert und die photos gemeinsam mit den menschen und (ihren) erinnerungen verblassen.

Ende 80