ÜBER DIE KENNTLICHKEIT - Zu den Bildern einer Ausstellung
von Christiane Zintzen

Ich komme hier in die seltsame Situation, gewissermassen als doppelte Hausfrau sprechen zu müssen. So läge eine der Hausfrauen-Daseinsformen, die mich hier befasst, in meiner Verbundenheit mit der Alten Schmiede, und sie (die Daseinsform) währt ungefähr genauso lange, wie die zweite Hausfrauen-Facette, welche auf einem über lange Jahre gemeinsam geführten Haushalt - man hat das 'WeGe' genannt - mit Herrn Bardel beruht.

Ich spreche, anders als Dr. Ecker, relativ frei und eben auch aus dem Geist des Hauses heraus. Wir hatten vor wenigen Wochen eine Lesung mit Ilse Aichinger drüben im Literarischen Quartier. Schülerinnen und Schüler waren gekommen und Ilse Aichinger hat einige ihrer kargen und knappen poetischen Fügungen zur Vorlesung gebracht. Dann konnten Fragen gestellt werden und viele dieser Erkundigungen betrafen Aichingers unmittelbar nach dem Krieg geschriebenen und publizierten Roman Die grössere Hoffnung. So wollte man wissen: "Was haben Sie damals empfunden, als Zeitzeugin, dem Holocaust entronnen? Was empfinden Sie heute, in Zeiten der wiedergefundenen Ehre und Treue?"

Frau Aichinger hat etwas sehr Einfaches, zugleich sehr Schwieriges geantwortet. Frau Aichinger hat nämlich gesagt: Sie war damals froh und sie es auch heute. "Denn die Dinge", so sagte sie, "sind zur Kenntlichkeit gelangt. Sie sind sehbar."

Wie ein solcherart Sehbares zu ertragen sei, ist eine philosophische Frage. Ein promemoria für das stoische Gemüt.

Auch die Bilder von Armin Bardel bringen etwas zur Kenntlichkeit. Sie machen kennbar. Sie suchen Dinge in der Welt, fokussieren sie, extrahieren sie, bannen sie auf Papier. So schaffen sie uns eine Möglichkeit, diese Dinge zur Kenntnis zu nehmen. Die Auswahl dieser Welt-Stücke macht die Dinge kenntlich, versieht sie mit einer Kennung, verleiht ihnen eine Signatur. Ob wir aus ihr jetzt und welche Erkenntnisse schöpfen können, das ist - siehe oben - wiederum eine Frage unserer persönlichen philosophischen Hygiene. Es ist eine Frage unseres Erkenntnisinteresses. Zur Kenntlichkeit bringen, erkennbar werden lassen, Kenntnis ermöglichen - wo anders wären die Aufgaben und Möglichkeiten der Kunst sonst zu suchen als hier?

Vielleicht noch ein paar bescheidene Assoziationen zur Hängung dieser Ausstellung:

Dort ist die lange Achse der Wand, die jetzt frontal zu mir ist und in Ihrem Rücken: Dort wären Stücke der Welt, Möglichkeiten utopischer Räume, herausgebrochen aus dem Chaos des Bestehenden. Dieses Drittel hier bringt Störung, Verstörung aller möglichen Arten zum Ausdruck. Hier hinten - das wäre fast eine Feng-Shui-artige Sache - wäre der Ort der Ruhe, der Hoffnung, Natur, Harmonie. Und dann, letztlich, gäbe es noch eine weitere Achse - die schaut aber woanders hin, die blickt nach draussen. Dort draussen sind nämlich jene Bilder, welche uns den Rücken zukehren: Bilder, bewusst nicht als Kunstphotos entwickelt und präsentiert, sondern im Stil der Pressephotographie aufgenommene Schnappschüsse aus Jörg Haiders Wahlkampf im kärntnerischen Wolfsberg, Februar 1989.

Auf die komplizierte Wort-Verbindung ANACALYPSE, die Armin Bardel als Titel seiner Ausstellung gewählt hat, würde ich jetzt mit einem anderen komplizierten Gräkizismus antworten wollen. Nämlich mit jenem des apotropäischen Zaubers: Ein Zauber, der Böses zeigt, um Böses fernzuhalten. Also wirkt dieser Zauber (es ist der bannende Blick des Medusenhauptes) nun nach draussen. Wir hingegen befinden uns in seinem toten Winkel. Wenn auch nur temporär. Wenn auch nur im Eigen-Raum der Kunst. Ich darf Sie in diesem seinem sicheren Schatten - für ein kurzes - herzlich begrüssen. Der Schrecken wird uns, unabweisbar, auch nachher ins Gesicht blicken. Aber vielleicht blicken wir, mit aller Kenntlichkeit, fortan zurück.

Wien, den 4. Juli 2000

Anacalypse exhibitions on my work