HIE & DA / TRANZITION
begleittext zur ausstellung "Transition" in Brno, 2000

hier & dort - entfernung & nähe

ich sitze hier in mir
und alles andere ist ausser mir,
draussen, weit weg.

die verbindung zwischen 2 punkten
brücksichtigt nicht, was dazwischen liegt.
zwischen hier und dort
nur eine kurze strecke,
eine (verbindungs-)linie von A nach B.
zwischen A und B die grenze.

selbst wenn die grenze fällt
und das hindernis, die distanz
sich unendlich verringert,
ist das noch lange keine einheit.
die verbotene frucht liegt auf dem teller,
verlockend und doch unerreichbar.

ich komme von draussen.
vor nur etwas mehr als 10 jahren
war dazwischen noch
eine ziemlich dichte grenze.
diese dann, mit einem samtweichen streich beseitigt,
entstand ein vacuum, ein sog:
endlich raus, endlich rüber,
endlich rein ins andere.
das grosse unbekannte reizt, verführt.

zeit & raum

die gegenwart ist die schmale trennlinie,
grenze zwischen vergangenheit & zukunft.
was gestern mit morgen verbindet
ist heute, hier & jetzt, der augenblick -
der blick aus unseren augen
wie aus einem fenster
auf diesen ort, an dem wir uns befinden.

wir stehen ständig an der grenze
und der augenblick will nicht verweilen.
in diesem moment stehen wir
an genau diesem ort & nirgends sonst
und ausser diesem gibt es
endlos viele orte
an denen wir nicht sind.
alles andere ist grösser
und dennoch ist jedes ich jetzt hier
das einzig relevante.
jeder nimmt seinen eigenen raum ein
& seine eigene zeit,
jeder ist ein eigenes universum.

alles, was (sein) wird,
entscheidet sich jetzt -
eingezwängt zwischen allem
was war & was sein wird.
wir können zusehen,
wie sich die welt verändert,
etwas dazu tun oder nicht.
wir können beobachten und uns vorstellen,
wie es in ein paar jahren
zurückblickend gewesen sein wird
und feststellen, was daraus geworden.

schichten

ich sitze in meinem körper,
seine hülle umschliesst mich.
meine sinne reichen hinaus,
verbinden mich mit der welt,
dringen ein in sie, wie in die Eure(n).

die sinne sind die schwachstellen,
an welchen die welt in mich eindringt.
sie dringt in mich ein
und tyrannisiert mich.

ich schleppe all das fleisch und das blut
und die knochen & was noch so dazugehört
mit mir herum, nur damit sich mein geist
in dieser welt bewegen & vergnügen kann.
um den körper nicht nackt dastehen zu lassen,
ist er verhüllt von kleidern.
die könnten dazu dienen,
inneres zum ausdruck zu bringen.
stattdessen zeigen sie bloss,
welchem gesellschaftlichen ideal
man sich verbunden fühlt oder anpasst,
welche marke man schätzt.

oberfläche/maske/kulisse/fassade

äusserlich scheint alles normal.
brav, schön und ordentlich.
nur im kopf da stimmt was nicht.
drinnen is was faul.
doch wer die kranken köpfe sind,
bestimmen häufig die,
die selber fast schon tot sind.

die oberfläche ist ruhig. windstille.
das wasser liegt ungekräuselt,
spiegelgleich glatt, glasklar.
spröde zerbrechlich totenstille.
kein laut.
stille wasser sind tief
und ganz unten am tiefsten grunde
haust ein ungeheuer.

die mauer fest & starr.
harter beton, bewegungslos.
was dahinter?
strahlend weisser zuckerguss,
süsse silberkügelchen
& türkisrosa marzipanröschen
mit hellgrünen blättern.

das gebäude von aussen betrachtet
zeigt nichts von seinem inneren.
bordell, folterkammer, gefängnis ... -
das potemkinsche dorf
offenbart sich nicht,
bleibt geheimnis.

der eindruck täuscht,
die (äussere) erscheinung blendet.
anzug & krawatte etc. (pelz, auto, villa) -
die grössten verbrecher
kleiden sich am besten.
das noble auftreten täuscht & verbirgt
ihren wahren charakter,
ja man erkennt sie eben daran!

einblick

ritze, spalt, durch welche
licht hindurchtritt,
schlüsselloch, gewährt einblick,
einen blick ins innere,
wenngleich beschränkt (im ausschnitt),
geringe perspektive,
lichtblick (nur sofern licht vorhanden).

jedes bild nur ein bruchteil, ein splitter,
ein klitzekleiner teil der welt,
die ganze welt ein scherbenhaufen,
bunte steinchen eines mosaiks,
das wir erst zusammensetzen.
ein kaleidoskop, das sich andauernd dreht.
immer dieselben steine
ergeben immer andere bilder.
keine wiederholung und doch nichts neues.

tabu & durchbruch

der begehrte leib bedeckt
von kleidern, haut & haaren.
hinter diesem fetzen stoff -
nur spärlich aber doch -
verborgen liegt es,
ein hauch von hülle trennt
die eine oberfläche von der anderen,
körper von körper,
das innen vom aussen,
die innen- von der aussenwelt.
diese schicht durchbrechen, -stossen,
hinübertreten & durchschreiten
dies- & jenseits.
ein riss in der membran,
sie platzt und alles strömt.

druckausgleich, höherer erregung folgt entspannung

die schale bricht,
das kücken schlüpft
aus seinem ei.

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